Seltene nicht-dystrophische Myotonien erfordern fachliche Aufklärung
Nicht-dystrophische Myotonien sind Störungen der Muskelübererregbarkeit, die durch Gain-of-Function-Mutationen im SCN4A-Gen oder Loss-of-Function-Mutationen im CLCN1-Gen verursacht werden. Die Genmutationen haben Symptome wie Muskelsteifheit, Schmerzen, Müdigkeit und Schwäche zur Folge. Die Forscher um Stunnenberg et al. beschrieben die Pathophysiologie, klinische Merkmale und aktuelle Diagnose- und Behandlungsansätze dieser seltenen Erkrankung.
In ihrem Übersichtsartikel führen die internationalen Wissenschaftler zunächst in die genetischen Zusammenhänge der nicht-dystrophischen Myotonieformen (NDMs) ein. Mutationen in den Genen für den spannungsgesteuerten Natriumkanal (SCN4A) oder Chloridkanal (CLCN1) der Skelettmuskulatur sind demnach verantwortlich für die Symptome einer Myotonie. Skelettmuskel-Chloridkanalopathien verursachen eine Myotonia congenita, die zu Muskelsteifheit führt, die durch wiederholte Muskelaktivität, das sogenannte Warm-up-Phänomen, verbessert werden kann. Skelettmuskel-Natriumkanalopathien führen zu einer Paramyotonia congenita und Natriumkanal-Myotonie, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich Symptome durch wiederholte Muskelaktivität verschlimmern, anstatt sich zu verbessern. Die Symptome treten bei Patienten mit NDMs in der Regel im ersten Lebensjahrzehnt auf. Muskelsteifheit in den Beinen tritt häufiger bei Chloridkanalopathien auf, während Muskelsteifheit im Gesicht häufiger bei Natriumkanalopathien auftritt. Neben Muskelsteifheit gehören Schwäche, Schmerzen und Müdigkeit zu den weiteren häufigen Symptomen.
Die neurologische Untersuchung beginnt mit der Beobachtung des Patienten beim Aufstehen vom Stuhl im Wartezimmer, beim Gehen zum Sprechzimmer und bei der Beurteilung der Kraft und Entspannung des Händedrucks. Die Bestätigung einer klinischen Myotonie sollte anhand von Myotonie-Tests am Krankenbett erfolgen. Die Experten schlagen einfache Diagnosekriterien vor, die bei der klinischen Diagnose helfen sollen. Bei hohem klinischem Verdacht auf eine NDM empfehlen die Forscher, die diagnostische Untersuchung mit einer Elektromyographie zu beginnen, um das Vorliegen einer Myotonie zu bestätigen, gefolgt von einer genetischen Untersuchung. Wenn bei der genetischen Untersuchung keine bekannte pathogene Mutation identifiziert wird oder wenn keine genetische Untersuchung verfügbar ist, empfehlen die Wissenschaftler eine weitere diagnostische Abklärung. Eine alternative Diagnose sollten Ärzte dann in Betracht ziehen, wenn die Anzeichen oder Symptome nicht typisch für NDM sind oder wenn die Diagnose nicht durch Gentests bestätigt wird.
Behandelt werden NDMs über Natriumkanalblocker wie Mexiletin, ein Antiarrhythmikum der Klasse IB, das die schnelle Inaktivierung von Natriumkanälen verstärkt. Neben Mexiletin zeigte auch Lamotrigin in einer RCT Wirksamkeit bei der Verringerung von Myotonie-Symptomen und bei der Verbesserung der Lebensqualität. Ranolazin ist ein weiterer Natriumkanalblocker, der seine Wirksamkeit unter Beweis gestellt hat. Es gibt auch Level-3-Evidenz für andere Natriumkanalblocker wie Procainamid, Flecainid, Phenytoin, Carbamazepin und Tocainid. Andere Medikamentenklassen wie Carboanhydrasehemmer, trizyklische Antidepressiva und Kalziumkanalblocker wurden ebenfalls zur Behandlung von Myotonie eingesetzt. Nifedipin, ein Kalziumkanalblocker, und Taurin, eine Aminosäure, die die Muskelmembranen stabilisiert, wurden ebenfalls in kleinen Studien untersucht, wobei die Forscher eine Verbesserung der Myotonie-Symptome feststellen konnten. Da einige Patienten auf die Medikamente nicht ansprechen, betonen die Wissenschaftler, dass weitere Behandlungsoptionen erforderlich sind. Eine Forschungsgruppe untersucht derzeit beta-adrenerge Medikamente, die bei myotonen Ratten eine ähnliche Wirkung wie Mexiletin zeigen. Die Forscher empfehlen ihren Patienten zusätzlich zur medikamentösen Therapie körperliche Bewegung, insbesondere aerobe Übungen wie Schwimmen, Radfahren oder Walking.
Fazit:
Aufgrund der Seltenheit der Myotonie-Erkrankungen gibt es relativ wenige klinische Studien zu NDMs. Die bisherigen Studien haben zu einem besseren Verständnis des Krankheitsspektrums und der Auswirkungen beigetragen, dennoch besteht nach wie vor eine Behandlungslücke. Zukünftige Studien sollten dazu beitragen, diese Lücken zu schließen und zu einer verbesserten patientenspezifischen Behandlung führen, so die Experten.
Autorin:
Dr. Maddalena Angela Di Lellis, Tübingen